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VOLLMUNDIG
Treffen mit einem Absintheur
Schmackhaftes Terroir
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Nachdem er im ganzen zwanzigsten Jahrhundert verteufelt wurde, ist der Absinth heute ein exzellentes Getränk. Reise durch die Welt der helvetischen Prohibition.
Wie alle Täler ist auch das Val-de-Travers ein Ort der Legenden. Aber hier, mehr als andernorts, weht zwischen Noiraigue und Les Verrières immer noch der starke Duft des Verbotenen und Mystischen. Der Duft stammt vom Anis, Wermut und Fenchel, die typischen Ingredienzen des Absinths, die hier auf den vielen Grünflächen gedeihen. Dieses mystische Getränk ist heute wieder zugelassen – jedoch erst seit 2005, nachdem es ein Jahrhundert lang verboten war.
Boveresse, Môtiers oder Couvet haben sicher nichts gemeinsam mit Chicago, und dennoch gab es in der Schweiz eine eigentliche Prohibition im Herzen dieser Dörfer. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stimmte das Schweizer Volk auf Anstoss vieler Abstinenzler aus allen Lagern für ein Verbot des Absinths. Das Getränk wurde für Unheil aller Art verantwortlich gemacht: Alkoholismus, Verwahrlosung, Wahnsinn, Erblindung. Ab 1908 faltete die Grüne Fee ihre Flügel zusammen und geriet allmählich in Vergessenheit.
Ungefähr zehn Schnapsbrenner gingen jedoch weiterhin ihrer Leidenschaft nach, mit der sie ihr Brot verdienten. Man schätzt, dass während der gesamten Prohibitionszeit pro Jahr durchschnittlich 100’000 Liter im Val-de-Travers gebrannt wurden.
EIN ANISSCHNAPS MIT TEUFLISCHEM RUF
Die Schmuggler riskierten, ins Gefängnis gesteckt zu werden, oder mindestens eine deftige Busse zu erhalten. Die lokale Polizei drückte oft ein Auge zu; die Eidgenössische Alkoholverwaltung aber wachte streng über die Einhaltung des Verbots. Die Zutaten um den grossen oder kleinen Absinth anzubauen, wurde immer verdächtiger. Wer in seinem Gemüsegarten Pfefferminze oder Zitronenmelisse hatte, machte sich in den Augen der Inspektoren schon verdächtig. Man pflegte also mit Vorteil gute nachbarschaftliche Beziehungen, auch wenn nur sehr selten jemand denunziert wurde. Nun ist das Verbot also aufgehoben, und 28 Hersteller, davon sechs professionelle, sorgen wieder dafür, dass der Duft dieser Pflanzen (22 Arten sind zugelassen) durch das Tal weht. Natürlich beruft sich jeder auf ein wohlgehütetes Geheimrezept seines Vaters oder Grossonkels. Die verwendeten Pflanzen und Kräuter sind bekannt und werden auch gerne auf der Etikette aufgeführt. Hier geht es, wie in jedem Rezept, um die jeweiligen Anteile.
In Boveresse hat Philippe Martin 2014 die Brennerei seines Vaters übernommen. Nach dreizehn Jahren Tätigkeit bei einem multinationalen Konzern wollte er wieder zurück in die Natur. Er produziert acht verschiedene Absinthe von ausgeprägtem Charakter, von weich bis stark, von blumig bis bitter. Ein bedeutender Teil der zehn Pflanzen, die hier gebrannt werden, stammt aus dem Garten gegenüber dem ehrwürdigen Gebäude aus dem Jahr 1777, dem zweitältesten des Dorfes.
Die übrigen Pflanzen wachsen an den Hängen des Montagne de Travers. Philippes Engagement geht aber noch weiter: Das Zertifizierungsverfahren läuft, und er wird der erste Schweizer Hersteller von Bio-Absinth sein. Seine Erinnerungen an dieses Aperitif-Getränk reichen zurück bis in seine frühe Kindheit, als sich sein Vater jeweils auf einem kleinen Hof auf dem nahegelegenen Berg einschloss und dort heimlich seinen Absinth brannte. Natürlich verriet der Sohn nichts, nicht einmal gegenüber seinem besten Freund. Das Gesetz der Omerta, mitten im Val-de-Travers! Der Alambic von Papa? Ein zusammengebastelter Schnellkochtopf in der Badewanne. So konnte halt nur geduscht werden. In der Region werden unzählige solcher Anekdoten erzählt. Wie diejenige von dem Mann, der sein Destilliergerät hinter einem Schrank voller Weinflaschen versteckte. Wenn er Schnaps brennen wollte, musste er erst alle Flaschen aus dem Schrank räumen und einen versteckten Hebel umlegen, um so in seine Mikro-Brennerei zu gelangen. Die Ermittler der Eidgenössischen Alkoholverwaltung fanden das Versteck erst, nachdem sie einen Tag lang das ganze Haus auf den Kopf gestellt hatten!
NACH LANGER ABSENZ IST DER ABSINTH WIEDER DA!
Heute ist das Getränk wieder geadelt und in den Bars der Grossstädte sehr beliebt und gefragt. Weit weg vom Beton von New York oder Paris, im Herzen des Val-de-Travers in Môtiers, bietet das Maison de l’Absinthe eine spielerische und spannende Entdeckungsreise zu diesem Getränk. Und für die Feinschmecker ermöglichen die vielen Derivate des Schnapses einen weiteren Zugang zur fantastischen Welt des Absinths. Zum Beispiel die kleinen, mit Absinth parfümierten Schokoladewürfel namens «Douceur des Fées», hergestellt von der gleichnamigen Chocolaterie in Fleurier. Diese ganz frisch von Hand hergestellten Köstlichkeiten sind das Wahrzeichen dieses kleinen dynamischen Unternehmens. Also Augen schliessen und eintauchen in dieses mystische Universum, das einen mitnimmt in die Geschichte des Val-de-Travers mit seinen Geheimnissen und Mysterien.
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